Kirche 2.0 – Entwicklungen aus dem Milieu hinaus

Gemeinde 2.0: Plenum 5 – Michael Herbst from ejw on Vimeo.

Auf der großen Konferenz Gemeinde 2.0, veranstaltet vom EKD Zentrum „Mission in der Region“ – Evangelisches Jugendwerk in Württemberg – Evangelischer Kirchenbezirk Bernhausen – Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG), Greifswald, geht es um die Zukunft der Kirche. Mit 900 Teilnehmern ist die Konferenz für Gemeinde-Innovation gerade frisch zu Ende gegangen.

Dabei kann die Deutsche Landeskirche eine Menge von der anglikanischen Kirche in England lernen, die selbst durch eine Krise gegangen ist, die aufgrund wirtschaftlicher und spiritueller Hintergründe der deutschen Situation um Jahre voraus ist. Erstaunliche und mutmachende Entwicklungen lassen von einer Kirche 2.0 träumen.


Wer rastet, der rostet”, heißt es im Volksmund. In der missionarischen Gemeindeentwicklung gilt Ähnliches: Ansätze, die gestern noch “neu” und herausfordernd waren, sind heute u.U. schon nicht mehr geeignet, Menschen mit dem Evangelium zu erreichen. Zugleich gibt es Uraltes, das nie aufhörte zu wirken. In einer Welt, die sich fortwährend ändert, ist es jedenfalls wichtig, das eine vom anderen zu unterscheiden und nach den Wegen zu suchen, die heute helfen, Gemeinden in der Mission Gottes zu stärken und zu fördern. Von der Anglikanischen Kirche können wir dabei viel lernen: Mut zu Neuem, Bewahren der Fundamente, Humor, Experimentierfreude, Klarheit und Weite – und ein ansteckend fröhliches Kirchen-Wesen.
Prof. Dr. Michael Herbst
Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG)

Michael Herbst nennt 5 Kriterien für eine „fresh-expression of church“:

  1. Die Gemeinde muss eine klare missionarische Ausrichtung haben, nicht der Hort einer speziellen Frömmigkeit sein (die unter sich bleiben möchte).
  2. Erkennbare Leitung, die nach innen führt und nach außen rechenschaftsfähig! (Nicht in die „heilige Trinität der Kirche“ pressen: Pfarramt, Kirchgebäude, agendarischer Gottesdienst).
  3. Die Aussicht auf Dauer gewähren (für eine gewisse Zeit verlässlich tun können, was sie sich zu tun vorgenommen hat).
  4. Einen erheblichen Teil dessen, was sie tut selbst finanzieren können oder Zugang zu verlässlichen und verantwortbaren Ressourcen haben.
  5. Erkennbar die Marke „evangelisch“ vertreten (an ihrer Bindung an das Evangelium, Bekenntnis und Loyalität zur Kirche keinen Zweifel lassen).

Für solche Initiativen sollten „leitende Geistliche“ Platz schaffen in der Kirche, nicht als Brückenlösung, sondern als werdende Gemeinde, die das Zeug hat im vollen Sinne Gemeinde in der Landeskirche zu werden.

Wenn das geschehen soll, wird Visitation wichtig. Gemeinde 2.0 braucht Visitation 2.0.

Unterstützung, Rückendeckung, Ermutigung und Korrektur, ein wenig finanzielle Anschubfinanzierung, Fürbitte und Weiterbildung…

5 Sätze zur Gestalt von Gemeinden zum Träumen (in der mixed Oikonomy)

  1. unternehmerischer Mut (verlässt die Komfortzone: „das haben wir schon immer so gemacht!“): riskiert einen Dienst, der ohne Gottes Mitwirken nur schief gehen kann. Geld wird in „Reich-Gottes-Investitionen“ gegeben (ohne Opfer geht es nicht). Sie fühlen sich wohl, wenn Dinge sich wandeln, entspanntes Verhältnis zu Fehlern und zum Scheitern.
  2. Kultursensible Evangelisation: mit viel Fantasie…, in viele Milieus kommen wir gar nicht. Man kann nicht die ganze Last dem alltäglichen Zeugnis der Christen zumuten, deutlich mehr künstlerische Elemente, mehr diakonisch-seelsorgerlich…
  3. Berühmt für ihr autentisches Engagement für die Armen: um der Menschen willen und Erbarmen für mehr Gerechtigkeit (Hören, dienen, Menschen einladen). Initativen um den Tisch…
  4. Investition in die Bildung ihrer Mitglieder in Sachen Glauben. Viele Orte (gemeindlich, regional, virtuell) als geistliche Bildungsprogramme, Zusammenhang Beruf und Glauben, Bibelkunde.
  5. Plurale geistliche Leitung von Menschen, die zu diesem Leiten begabt sind und ihr Ego einigermaßen im Griff haben (Leitungsteams). Peter Böhlemann: Visionär (begeistert), führt in alle Wahrheit, führt zusammen.

Leitungsdiagramm

„Und wer ist bei euch zuständig für Gebet?

Wer sorgt dafür, dass in der Gemeinde die Leitung betet? „There is a higher Throne!“

 

 

Gemeinde 2.0: Plenum 3 – Heinzpeter Hempelmann from ejw on Vimeo.

 

“G2″ stellt sich der entscheidenden Frage für eine evangelische Kirche heute: Wie erreichen wir die Unerreichten? Unsere Gesellschaft ist fragmentiert in unterschiedlichste Milieu, Lebensstile, Lebenswelten, Mentalitäten. Wie finden wir Gestalten von Kirche, Inkorporationen des Evangeliums, mit denen wir auch die ansprechen, die sich vom eher konservativ-traditionsorientierten Habitus von Kirche nicht angesprochen fühlen? Wie können wir die sehr bewährte, aber nur begrenzt integrationsfähige parochiale Form von Kirche sinnvoll ergänzen? Und was können wir für diese Prozesse etwa von der Church of England, also einer Volkskirche lernen, die unter vergleichbaren, ja härteren Bedingungen den turn geschafft hat?
Prof. Dr. Heinzpeter Hempelmann
EKD-Zentrum Mission in der Region | Standort Stuttgart

Sinus-Milieus werden vom herkömmlichen Schichtenmodell abgegrenzt und im Detail vorgestellt und kritisch hinterfragt.

  • Bestimmte Einstellungen sind nicht mehr festgelegt auf ein Milieu
  • Mittelschicht ist nicht nur einfach bürgerlich-modern (sondern auch experemtalistisch
  • Menschen hocken zusammen und klumpen (10 Lebenswelten)
  • Gesellschaft ist tief fragmentiert und segmentiert (Kulturen und Subkulturen)

Micromilieus vor Ort zeigen die konkrete Verteilung…

Bürgerliches MilieuMilieukarte von Lippe (wie ist die Verteilung der Bürgerlichen Mitte?)

Ergebnisse der Kirchenstudie 2005:

  • Kirche erreicht nur noch einen Bruchteil ihrer Mitglieder.
  • Gemeinden sind nur noch für 2-3 Milieus ihrer Mitglieder eine Größe
  • Unterschiedliche Milieus haben sehr diffente, ja widersprüchliche Erwartungen an Kirche
  • Grundsätzlich finden sich in allen Milieus Kirchenmitglieder
  • Kirche ist wie Gesellschaft segmentiert, fragmentiert (sie ist bereits Milieu!!): Bitte das bürgerliche Milieu nicht zum Leitmilieu erklären! Mitglieder aus allen Milieus Zugang zum Glauben ermöglichen!
  • Die Milieus sind durch nichtkognitive Sperren und Ekelschranken voneinander getrennt.
  • Darum ist das Ringen um den, der so ganz anders ist als ich, christlich geboten.
  • Früher wurden Top-Down die gesellschaftlichen Werte geprägt, heute bilden die Milieus eine Werte-Archipel (keine Leitästhetik!). Kirche kann nur Leben teilen, aber nicht einfach Werte-Vorschriften machen.

Dem heruntergekommenen Gott folgen, bedeutet heute den Sinusmilieus entsprechend neue Folgerungen. Gott gibt in Jesus seine Identität auf und setzt sich auf, gibt den Standpunkt „über“ auf. Schlüsselbelege in der Bibel sind: Phil.2,1-5, Hebr. 5, 8 – er lernt im Leiden. Hebr. 2,17, er lernt Mit-leiden, Sympathie für unser Milieu, damit er „BARMHERZIG“ würde.

Konsequenzen:

  • Kirche verlässt die dicken Mauern ihrer angstammten Lebenswelt
  • Kirche hat Sehnsucht nach denen, die nicht da sind, interessiert sich…
  • Dabei verliert sie sich selbst und ihre bisherige Identität
  • Sie findet dabei zu neuen Gestalten (fragt sich, ob sie noch dieselbe ist)
  • Kirche ist darin milieuüberschreitende Kirche (Mission ist die Struktur der Kirche)

Milieuanalysen sind bei diesen Prozessen eine Hilfe

  • Augenöffner,
  • Sehhilfe,
  • Hermeneutin des Fremden,
  • Andockhilfe
  • Zielgruppenorientierung klären (Fokus)
  • Spiegel (so siehst du aus der Sicht anderer aus)
  • Hilft die Does und Donts zu identifizieren
  • deckt Einseitigkeiten (morphologischer Fundalismen) auf (Milieugefangenschaften der Kirche)

Diese Milieutheorie ist als Modell sicher immer nur eine Verkürzung der Wirklichkeit, hilft aber als eine Theorie (es gibt immer auch andere)dazu, damit konkret arbeiten zu können (es gibt in der Realität viel mehr Submilieus und Sub-Submilieus).

Die Parorchie benötigt dringend eine Ergänzung, soll aber nicht abgeschafft werden. Es benötigt viele „fresh Expressions“ allein in Lemgo, um den vielfältigen und unterschiedlichen Bedürfnissen der Gemeindeglieder und/oder kommender Gemeindeglieder gerecht zu werden.

Einheit der Kirche? Worin besteht sie dann?

  • Die Einheit ist nicht durch ein / in einem  Submilieu darzustellen
  • sprachfähig für Vielfalt werden

Nachhaltig wäre…

  • wir haben enorme Möglichkeiten vielfältigerer Gemeindeleben/Ausdrucksformen (Aufgabenteilige Kooperationen)
  • wie kann ich das hineinbringen in die Gemeinde?

Mehr:

Berichte in

Mitglieder sollen sich beteiligen

Rainer Kiess, Dekan des Evangelischen Kirchenbezirks Bernhausen, wies auf die Parallele im Namen des Kongresses auf das „Web 2.0“ hin: „Das Web 1.0 wurde weiterentwickelt. Wir sind nicht mehr im 20. Jahrhundert.“ Ebenso müsse sich die Kirche weiterentwickeln, so Kiess. „Wir möchten mit dem Kongress Impulse geben, dass die Mitglieder sich beteiligen und Menschen erreichen, die sonst fern von der Kirche stehen.“ (Zitiert aus Pro_Magazin)

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